Die Heilsame Kraft der Berührung
Qualitäten der Berührung - heilsame Achtsamkeit –
und ein Blick auf das was uns prägt
Vor mehr als 10 Jahren habe ich angefangen Massagen zu geben, und im
Laufe der Zeit, sowohl als Gebende als auch immer wieder als Empfangende
festgestellt, wie signifikant unterschiedlich scheinbar ein und die Gleiche
Berührung ausfällt, wenn sie von verschiedenen Personen zu verschiedenen
Zeiten gegeben wird. Im Verlauf der unterschiedlichen Ausbildungen ist mir
nach und nach klar geworden, was genau den Unterschied ausmacht, wenn die
Technik scheinbar gleich bleibt und sich doch so anders anfühlt. Was die
Qualität der Berührung bestimmt.
Es ist keine neue Erkenntnis, dass Berührung für den Menschen essentiell ist,
das Babys, aber auch einige Tierbabys sterben können, wenn sie nicht berührt
werden bzw. Körperkontakt erfahren.
Aber nehmen wir sie so wichtig wie diese Erkenntnis es nahe legen würde?
Meist hatten wir als Kind noch das Glück, dass die Eltern uns je nach Zeit und
eigenen Offenheit in Bezug auf ihre Gefühle, mehr oder weniger regelmäßig
tröstend oder auch einfach liebkosend berührten.
Als Erwachsene jedoch ist Berührung oft nur noch dort zu erwarten wo eine
liebevolle Partnerschaft gegeben ist, oder eine sehr enge Freundschaft, bei der
man sich hin und wieder mal zur Begrüßung oder bei besonderen Anlässen
umarmt. Etwas, was in unserer Gesellschaft allerdings sehr oft den Frauen
vorbehalten ist, da Männer häufig das Gefühl haben, das dies den Verdacht der
Homosexualität aufkommen lässt.
Alte Menschen, die ihren Partner schon lange verloren haben, leben oft
Jahrzehnt ohne wirkliche Berührung.
Die einzige Berührung die dann noch erfahren wird, ist die beim Arzt, in
Behandlung und Therapie, und auch dort immer weniger, immer knapper. Und
doch eben oft das einzige was bleibt; beinahe schon gut, wenn man eine
Krankheit hat.
Eine wichtige Rolle können hier die Haustiere spielen, die Lebensmut, eine
Aufgabe, eine „Ansprache“ und eben auch eine Möglichkeit der Berührung
bieten, sofern es sich um ein Tier handelt mit dem körperlicher Kontakt gut
möglich ist. Viele Großstadtseelen werden wohl von diesen meist vierbeinigen
manchmal auch fliegenden Engeln getröstet und vor der größten Vereinsamung
bewahrt.
Und natürlich kann ich mich aus selber berühren, wenn es sonst niemand tut.
Etwas, dass oft mit Geistesgestörtheit in Verbindung gebracht wird, mir jedoch
als eine sehr weise Handlung erscheint, um einen noch größeren Mangel und
die damit verbundene Störung zu verhindern.
Auch erfahren wir Berührung, über unsere Kleidung und die Dinge mit denen
wir in Kontakt kommen, können uns Berührung suchen, indem wir berühren.
Für Erwachsene im Notfall ausreichend zum überleben, aber nicht wirklich die
Bedürfnisse befriedigend.
Was macht Berührung?
Berührung ist der erste Reiz des Lebens. Berührung schafft eine
Rückverbindung zur Geborgenheit im Mutterleib. Berührung lässt das Gehirn
neue Nervenverbindungen knüpfen. Berührung beruhigt und stärkt das
Immunsystem. Berührung ist die Grundwahrnehmung des Lebens. Berührung
tröstet ein Kind. Berührung hilft Wunden heilen und Schmerzen lindern.
Berührung kann auch gezielt therapeutisch angewandt werden um Muskeln zu
lockern, Knochen einzurichten, Bänder und Faszien wieder an ihren Platz zu
erinnern, Kreislauf und Innere Organe anzuregen und vieles mehr.
Berührung lässt auch die eigenen Grenzen erfahren und wahrnehmen, was
sowohl im körperlichen Sinne, in Bezug auf die Hautgrenze, als auch im
übertragenen Sinne, seine Wirkung entfaltet.
Nicht umsonst wollen Kleinkinder alles berühren, stecken alles tastend in den
Mund.
Wer sich selber zu spüren gelernt hat, der ist sich auch seiner selbst Bewusst,
was im Leben zum Selbstbewusstsein sehr viel beiträgt. Das wiederum schafft
auch ein Gefühl für den Selbstwert und somit nachfolgend für die
Selbstachtung, was unweigerlich dazu beiträgt, das der Mensch seine Grenzen
zu achten und zu wahren und sich zu schützen versteht, und in gleichem Maße
auch nur dann erfühlen kann, welche Grenzen bei einem Anderen zu beachten
sind. Einfühlung und Achtsamkeit können nur aus der Selbstwahrnehmung
heraus erwachsen.
Auf diese Weise trägt Berührung essentiell dazu bei den Charakter und die
sozialen Fähigkeiten eines Menschen mitzubestimmen, sofern sie ebenfalls
achtsam, respektvoll und zugewandt erfolgt, und nicht übergriffig, und so, dass
das so berührte Wesen nichts anderes tun kann, als sich abzuschotten und zu
verschließen, um nicht Schaden zu erleiden.
Denn so wertvoll die „richtige“ Berührung ist, so sehr kann die „falsche“
Berührung einen Menschen seelisch wie körperlich verletzen, quälen und
zerbrechen. Dazu später noch mehr.
Ein Mangel an Berührung jedenfalls kann die Entwicklung stark hemmen und
bis ins Erwachsenenalter mehr oder weniger deutliche Folgen haben. Folgen,
die z. T. so normal sind, dass wir sie gedankenlos in der Gesellschaft
akzeptieren und teilweise sogar für gut befinden und fördern. Überall dort, wo
Menschen nicht als Menschen wahrgenommen werden, wo es nur um Geld und
Profit geht, um irgendeine Sache, aber nicht mehr um Personen, überall dort ist
der Mensch von sich und seiner Wahrnehmung abgeschnitten, hat den Zugang
zu seinen eigenen Gefühlen nicht und lässt sich nicht „berühren“ von dem was
er sieht oder tut, und nicht umsonst ist dies das selbe Wort.
Berührung kann so essentiell vermisst werden, wie Aufmerksamkeit und
Zuwendung überhaupt, und so gibt es das Phänomen, dass Kinder sich
Aufmerksamkeit holen, sozusagen um jeden Preis, indem sie so lange „Ärger“
machen, bis man sie anbrüllt, bis, wenn schon keine liebende Hand, so eine
schlagende sich ihnen zuwendet.
Wo kennen wir Berührung?
Praktisch in jeder medizinischen Behandlung und Untersuchung kommt es
irgendwann zu einer Berührung. Oft spielt sie hier in der modernen Medizin
der Apparate nur eine untergeordnete Rolle, ist beiläufig. Und doch, könnte sie
auch und gerade hier so eine wichtige und hilfreiche Wirkung entfalten, wenn
nur die Zeit dazu da wäre, genommen würde, wenn der Stress in
Krankenhäusern, Kliniken, und Facharztpraxen es noch zulassen würde, dass
Arzt und Personal ihre menschlichen Qualitäten mit einbringen können und in
die Berührung, so unwichtig sie auch sein mag, die Wärme, Zugewandtheit und
Achtsamkeit legen würden, die ein oft eingeschüchterter Patient so sehr
benötigt, die ihm das Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit und menschlichem
Angenommensein vermittelt, das ebenso zu seiner Genesung beitragen kann,
wie die Untersuchungen und Behandlungen die hier vorgenommen werden.
Doch diese Gedanken werde wohl nicht an den Universitäten gelehrt, und
wenn sie einmal vorhanden waren, so werden sie nur all zu schnell im
hetzenden Alltag zerrieben. Arzt und Personal brauchen oft genug selber nur all
zu sehr eine Quelle um ihre Energien wieder aufzuladen.
Selbst im Operationssaal geht es nicht ohne Berührung, wenn auch über sterile
Handschuhe und Op-Besteck. Und auch hier, da bin ich mir ganz sicher, wäre,
neben der sicher vorrangigen handwerklich einwandfreien und zuverlässigen
Arbeit nach dem neusten Stand des Wissens, ein Unterschied zu bemerken, mit
welcher Einstellung der Chirurg arbeitet. Das Unterbewusstsein des Patienten
spürt sehr wohl, und trotz Narkose, mit welcher Grundhaltung mit ihm
umgegangen wird, ob er als Fall, gar wie eine zu reparierendes Auto, oder als
Mensch, als Wesen gesehen und berührt wir. Auf energetischer Ebene kommen
diese Schwingungen über und dies kann auch einen kleinen u. U. auch
größeren Anteil an den Heilungschancen haben.
Bei diesen Überlegungen ist mir durchaus klar, dass Klinkärzte oft überlange
Schichten und Bereitschaftszeiten ohne richtigen Schlaf haben, und es eine
klare Überforderung wäre auch noch diesen Bereich abzudecken. Unter den
gegebenen Bedingungen wundert es mich ehr, dass nicht noch mehr Fehler
passieren und ich bewundere jeden, der diese Arbeit gut macht und so vielen
Menschen damit das Leben rettet und erleichtert.
Meine Gedanken dazu sind also nur theoretischer Natur, und doch möchte ich
damit zeigen, dass es immer und überall einen Unterschied macht, auf welche
Weise ein Mensch berührt wird.
Ein weiterer medizinischer Bereich, bei dem Berührung nun sehr wichtig ist,
bzw. die Hauptrolle spielt, ist die Krankengymnastik, die Physiotherapie, jede
Art von medizinischer Massage. Auch hier bin ich ganz sicher, das die
Geschwindigkeit und die Leichtigkeit der Genesung zu einem sehr großen Teil
nicht nur von dem fachlichen „Wie“ der Behandlung abhängig ist, sondern
auch von dem „Wie“ in der Art der Zuwendung.
Die Achtsamkeit, die Präsenz, der Respekt gegenüber dem Wesen dem ich
mich zuwende, welche ich in die Berührung hineinlege, haben für sich gesehen
einen heilsamen Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist.
Dabei möchte ich, um Missverständnissen vorzubeugen, keineswegs die
Notwendigkeit und Wichtigkeit der fachlich richtigen Anwendung und
Behandlung in Abrede stellen, oder etwa behaupten, Krankheiten und
Beschwerden seien allein durch die Berührung an sich heilbar.
Behaupten möchte ich jedoch, dass dies einen wichtigen Zusatzimpuls gibt.
Des Weiteren behaupte ich, dass es uns ganz allgemein in unserem Leben nur
allzu oft an Berührung mangelt, ganz besondern an solcher in der richtigen,
wohltuenden Qualität.
Weshalb ich der Meinung bin, dass man damit sehr viel Gutes bewirken kann,
zur Steigerung der Lebensqualität, der Lebensfreude und der Gesundheit, ob
nun bei im großen und ganzen gesunden Menschen, oder auch bei Kranken, die
dadurch nicht von ihrer Krankheit geheilt werden, aber (sofern die Berührung
nicht in einer Art ist, die in speziellen Fall Schaden anrichtet) doch einen
zusätzlichen Heilimpuls erhalten können und einen Wohlfühlfaktor, eine
Bereicherung, der vielleicht sogar in einen oder anderen Fall den Lebens- und
Genesungswunsch stärken könnte, wo dieser labil ist.
Berührung ist selbstverständlich und in erster Linie etwas das wir im
zwischenmenschlichen Bereich finden. Zuallererst zwischen Mutter und Kind,
dann zwischen den Partnern, zwischen Geschwistern, unter Freunden,
abhängig vom jeweiligen Kulturkreis in den einzelnen Bereichen verschieden
ausgeprägt.
Was also hält uns davon ab, Berührung zu suchen, oder sie in unseren
Verbindungen voll und ganz zu leben?
Weil Berührung so tief berührt, kann sie auch so tief verletzen.
Die Wunden alter Vernachlässigungen können dadurch schmerzlich bewusst
werden, wenn wir plötzlich tief berührt werden.
Oft wird diese Erfahrung lieber gemieden, als durch sie hindurch zu gehen.
Meist, weil die Bewusstheit fehlt, für die Freude, die hinter dem Schmerz
wartet, wenn das volle Erleben zugelassen wird.
Die Erinnerungen an übergriffige Berührung, an Schmerz, Gewalt, oder an eine
Berührung, die sexuell aufdringlich oder sexuell nehmend war, kann vor jeder
neuen Berührung zurückschrecken lassen, bzw. davor, diese Berührung auch an
sich heran zu lassen, falls sie doch erfolgt. Besonders wenn so etwas im
Kindesalter oder noch nicht gefestigter Persönlichkeit geschah, man sich nicht
wehren konnte, weil man zu klein war, oder auch weil es so verdeckt war, dass
man keinen anderen Beweis hatte als „so ein Gefühl“ ,hinterlässt es so tiefe,
wenn auch häufig unbewusste Spuren, das der Schutz der Persönlichkeit
absoluten Vorrang hat.
Dabei fangen Übergriffe nicht erst bei körperlichem Missbrauch an. Es fängt
auch nicht an bei Berührung auf sexuell anzügliche Weise. Es kann jede Art
von Berührung sein, wenn diese mit einem bestimmten „Hintergedanken“ auf
eine bestimmte bedrängende oder nehmende und aussaugende und absolut
respektlose, eben übergriffige Art und Weise erfolg. Ja, nur ein Blick kann in
dieser Weise erfolgen, und einen Mensche, je verletzlicher er gerade ist, so
verletzen, das ein Trauma entstehen kann und auch eine zukünftige Angst von
Berührung.
Hier ist ganz klar der Einfluss zu erkennen, den das Gedachte und Gefühlte des
Berührenden bei der Berührung hat.
Das Wissen um solche verdeckten und offenen Übergriffe, die (natürlich nicht
unbegründete) Angst vor Missbrauch trägt dazu bei, dass Berührung als
Gefahrenquelle gesehen wird.
Die von der Religion vorgegebenen Tabus bezüglich aller Handlungen, und
besonders deren Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit, die mit Sexualität und der
„sündhaften“ Körperlichkeit in Verbindung gebracht werden können, sind es,
die dazu führen, das Berührung ehr vermieden wird.
Wenn sich eine Frau zurückzieht, weil sie spürt, das sie nur etwas Wert ist,
wenn sie die „Reine“ ist, und sich nicht wie eine „Hure“ gebärdet und ihre Lust
zeigt und wenn der Mann in unserem Patriarchat den Sex als Machinstrument
verwendet, dann muss es nicht zu sehr verwundern, wenn die Frau ihre Macht
und ihr Heil im Sexentzug sieht. Das jedoch stellt den Mann auf einsamen
Posten, mit dem er nur allzu oft nicht fertig wird, und sich so an Schwächeren
vergreift, mit Machtspielen, mit Gewalt, bis hin zu Krieg oder Missbrauch.
Handlungen die ein Mensch der mit sich und seinen Gefühlen in vollem
Kontakt ist, wohl nur schwerlich begehen kann.
Manchmal wird Zärtlichkeit gerade mal Kindern gegenüber noch gelebt, sofern
die Eltern nicht durch ihre eigene Geschichte bereits mit wenig Bezug zu ihren
Gefühlen aufgewachsen sind, und somit auch nichts weitergeben können, oder
dies für Schwäche und Gefühlsduselei halten.
Nicht wenige Menschen erzählen, dass sie niemals, weder in der Öffentlichkeit
noch in den eigenen vier Wänden, Küsse oder Umarmungen der Eltern
beobachtet zu haben.
Häufig gibt es beim Heranwachsen auch einen Geschlechterunterschied.
Jungen werden schnell entwöhnt, entweder von den Eltern, die sie zu starken
Männern machen wollen, oder von gleichaltrigen, vor denen man sich nicht
blamieren will.
Hier können Raufereien und Sportarten bei denen in freundschaftlich-fairem
Kräftemessen, der eignen und der andere Körper gespürt werden können,
durchaus einen Ausgleich schaffen, der den Körper erfahren lässt und
Berührung bietet.
Mädchen tun dies in anderen Spielen, beim Turnen oder Tanzen. Hier können,
oder könnten beide auf ihre Art (meist doch irgendwie Rollen und
Geschlechtsspezifisch, wenn auch je nachindividueller Veranlagung manchmal
komplett vertauscht) zu den Kontakten mit Gleichaltrigen kommen, die die
Struktur festigen können.
Die christliche Geschichte und der Gedanke der Sünde, sind jedoch so tief in
unserer Kultur verwurzelt, dass auch die scheinbare Offenheit und die ganze
sexuelle Revolution nicht bis in die Tiefen vorgedrungen sind. Oberflächlich
betrachtet, und zum Glück auch in den gesetzlichen Regelungen sichtbar,
herrscht große Freiheit und Offenheit. Doch es ist noch immer eine große
Diskrepanz zwischen den freizügigen Plakaten und Filmen, und einem oft noch
immer sehr verklemmten persönlichen Verhalten. Unsere Kinder und
Jugendlichen können Gewalt und Sex schon viel zu früh im Fernsehen sehen,
sind darüber im Bilde noch ehe sie ein liebevolles Bild über die Eltern erhalten
haben, oder über die eigenen liebevolle Erfahrung der Berührung so gestärkt
worden sind, dass ihnen schon ihr Innerstes sagen kann, das dies nicht der Weg
ist, der gut tut und Freude und Selbstachtung bringt.
Im krassen Gegensatz zu diesen Eindrücken steht noch immer die Verlegenheit,
wenn es darum geht mit den Kindern über Zärtlichkeit zu sprechen, und
besonders das Vorbild.
Im krassen Gegensatz dazu stehen noch immer die Kirche und ihr Bild von der
Hölle in die man kommt, wenn man in sündiger Verfehlung die falsche
Berührung macht. Diese beiden Bilder prägen uns bewusst oder unbewusst
über die Kultur und Gesellschaft in der wir leben, und Eltern geben nur weiter,
was sie selber gelernt haben. Und so müssen vielen Menschen erst als
Erwachsenen für sich selber lernen ein Gefühl für sich und ihre Werte zu
entwickeln, unabhängig von den Beiden so prägenden Einflüssen, die von
außen auf uns einströmen.
Kommen wir noch einmal zu einer genauen Beschreibung dessen, was die
Qualität der Berührung entscheidend prägt: meiner Ansicht nach, ist es die
Einstellung, die gegenwärtige Verfassung, des Menschen, der die Berührung
gibt. Es ist seine Absicht, oder Absichtslosigkeit, es ist seine Achtsamkeit, oder
Achtlosigkeit, sein Respekt oder Respektlosigkeit und im besonderen Maße
auch wie gut oder weniger gut er sich selber spüren und wahrnehmen kann, auf
allen Ebenen.
Selbst wenn eine Berührung einfach nur achtlos erfolgt, mit abwesenden
Gedanken und ohne Präsens, kann sich dies wie eine Verletzung, wie ein
Übergriff anfühlen, wenn der Berührte sensibel und verletzlich ist. Achtlos
jemanden zu Berühren wirkt verletzend, und das nicht nur bei schmerzhaft
spürbaren körperlichen Grobheiten, sondern auch ganz fein, auf der
energetischen Ebene, und sei es nur unterbewusst wahrgenommen, ebenso wie
verletzende, achtlose, respektlose Wort es tun.
Die wichtigste Qualität die ich einer Berührung geben kann, ist die meine
Achtsamkeit. Wenn ich präsent bin in dem was ich tue, wenn ich mit voller
Achtsamkeit tue, was ich tue, und ich tue es mit Respekt der anderen Person
gegenüber, dann wird dies fühlbar sein und Gutes Bewirken. Wenn ich mich
spüre und wahrnehme, dann spüre und nehme ich auch den anderen wahr, und
somit weiß ich immer was ich tue. Ich handle bewusst und absichtsvoll, dem
anderen ganz zugewandt. Und doch auch absichtslos, denn, zumindest was die
von mir ausgeführten Massagen anbetrifft, die keine medizinischen sind, so ist
alles was ich tue, ein Angebot an das System des anderen, nichts das ich
machen und erreichen will bei ihm, nichts was gedrängt oder gar gezwungen
wird. Absichtsvoll ja, indem ich so präsent wie möglich spüre was gerade das
beste zu tun ist, und doch absichtslos, in dem ich nichts bewirken will, sondern
geschehen lasse was genommen werden will, sich ordnen lasse, was und wie
sich ordnen will.
Vielleicht haben sie schon einmal eine Massage oder ähnliches erhalten und
hatten danach ein ganz schlechtes Gefühl, obwohl sie nicht sagen konnten, das
etwas mit der Technik nicht in Ordnung gewesen sein. Möglicherweise sind sie
an eine Person gekommen, die schon reichlich überarbeitet war, oder sehr
gelangweilt und genervt von der Arbeit, oder voller privater Sorgen. Dann war
die Berührung die Sie erhalten haben ehr eine achtlose, abwesende und
beiläufige, oder gar etwas abweisend. Trotz korrekter Technik wir so etwas
niemals eine wirklich angenehme Behandlung sein. Das Gefühl nicht
wertgeschätzt, vielleicht auch irgendwie benutzt zu sein, schleicht sich
unterschwellig mit ins Gewebe.
Ein anderes Mal kann es sein, das ein Mensch keine Ahnung hat von Massage
oder nicht weiß wie er helfen soll, aber ganz instinktiv mit großer Zuwendung,
einfühlsam und unaufdringlich einige Berührungen ausführt, und man kann
sich voll entspannen und fühlt Geborgenheit.
Die heilsame Kraft der Berührung beginnt bevor ein medizinisch-
therapeutischer Nutzen durch eine gezielte Manipulation zu erkennen oder
beabsichtigt ist.
Ich durfte sehen und am eigenen Leib fühlen, wie wohltuend die „richtige“
Berührung ist, wie sehr sie bis tief in die Seele anrührt, bewegt, das Gefühl
gibt, nach einem langen Weg endlich Zuhause zu sein.
Bei einer solchen Berührung im richtigen Rahmen können tiefe Gefühle
spürbar werden und sich in erleichternden Tränen von alten Schmerzen
reinigen und endlich zu heilen beginnen, oder in einem Schwall der Freude
durch den Körper ziehen.
Hier kann Berührung mit den eigenen Wesen in Verbindung kommen helfen,
kann wie ein Katalysator sein für tiefstes Geschehen, für feiste Wahrnehmung
öffnen, kann wie eine wohltuende Salbe für eine Wunde sein oder wie die
tollste Karussellfahrt das Herz zum jauchzen bringen, kann auch einfach in die
Stille führen, an einen Ort, an dem man schon lange nicht mehr war. Die
Verbundenheit mit dem eigenen Körper wird wieder spürbar, als sei man jetzt
erst angekommen, und ein Gefühl, auf der Erde willkommen zu sein.
Natürlich hängt die Art der Gefühle und ihre Tiefe davon ab, welche
Vorgeschichte man hat, ob und welche Wunden geheilt werden wollen, und
was man gerade in diesem Moment zulassen kann und will. Jede Verletzung
hat ihre Schichten, jede „Heilung“ ihre Etappen und nichts kann erzwungen
werden. Und wenn es keine Wunden gibt, so ist es einfach nur eine weitere
wunderbare Erfahrung.
Ich spreche hier für mich nicht von medizinischen Massagen und
Heilmethoden und „Heilung“ ist hier auch nicht im medizinischen oder
psychotherapeutischen Sinne gemeint. Ich bin jedoch der Meinung, dass im
Idealfall eine Berührung niemals andere Qualitäten haben sollte, sofern es nicht
die Absicht ist, einen anderen Menschen zu verletzen.
Dass dies ein Ideal ist, dass sich im (Arbeits-) Alltag nur allzu oft nicht
verwirklichen lässt, und dass im Zweifel andere Dinge Priorität haben können,
ist natürlich auch klar. Doch kann es nicht schaden, sich dessen, was ideal wäre
hin und wieder bewusst zu werden und so die Chance zu erhöhen, dass es noch
ein wenig mehr Teil unseres Alltags und Handelns, Teil unseres Bewusstseins
und unsers Seins wird.